Wieviel Überwachung braucht der Hansaplatz ?

von Martin S. Schiffers

Die Diskussion ist nicht neu, es geht wieder einmal um den Hansaplatz : Sicherheit gegen Persönlichkeitsrechte.Der Hansaplatz im Bahnhofsviertel von Hamburg ist seit den 1980er-Jahren Treffpunkt sozialer Randgruppen wie der Trinker- und Drogen-Szene.Verschiedene Versuche diese Szene einzudämmen, schlugen fehl.
Auch die im Juli 2007 installierte und 2009 wieder entfernte Video-Überwachung war ein solches Beispiel.Schon die Kosten/Nutzen-Rechnung ging nicht auf. Mehr als 400000 Euro für die Anbringung der fünf Kameras standen gerade einmal300 Straftaten pro Jahr gegenüber. Welchen Prozentsatz von den 300 die Kameras wirklich aufklären halfen, ist nicht bekannt. Es wird auf jeden Fall von einigen schweren Straftaten berichtet. Unter anderem dem Übefall auf einen US-Amerikanischen Austauschstudenten.Dennoch war es ein offenes Geheimnis, dass die Videoüberwachung nicht zu den Erfolgen bei der Kriminalitätsbekämpfung geführt hat, die man sich bei Einführung des Systems versprochen hatte.

Wärend sich die Anlieger des Hansaplatzes zum größten Teil freuten, als 2009 das Aus kam, wertete die Deutsche Polizeigewerkschaft die Einstellung der Videoüberwachung als "sicherheitspolitischen Irrweg".Obwohl die Polizei schon 2009 zugeben musste, dass "nicht annähernd so viele Fälle wie auf der Reeperbahn,[...] durch die Kameras aufgedeckt oder aufgeklärt werden. Der Platz sei aber immer noch hoch belastet."
Dass das Videoüberwachungssystem aber der Abschreckung dient, ist ein Märchen, das nicht einmal die Behörden aufrecht erhalten können.Es dient nur der Aufklärung. Die Senkung der festgestellten Straftaten am Hansaplatz wärend der Videoüberwachung ist recht einfach zu erklären : Man weicht eben auf die Nebenstraßen aus. Damit hat man das Problem verschoben aber nicht gelöst.

Seit der Umgestalltung des Hansaplatzes im Juni 2011 hat sich einiges geändert. Nach und nach haben Investoren die Imobilien,vor allem die Altbauten, gekauft, saniert und die Preise in die Höhe getrieben. Auch einige Hamburger Politiker haben sich daran beteiligt.

Dass nun 2018 die Bestrebungen, den Platz wieder massiv zu Überwachen, aufflammen ist wohl auch letzeren geschuldet.Ob dies nun sinnvoll ist oder nicht, sei dahin gestellt. Ein Beamter der Hamburger Polizei, erklärte zum Thema, dass die allermeisten schweren Straftaten duchKameras gar nicht sichtbar werden, da sie sich nicht auf dem Platz sondern in Häusern und Wirtschaften abspielen würden. Gerade diese Häusereingänge bzw.Eingagsbereiche von Wirtschaften dürfen aber laut einem Urteil des Oberverwaltungsgericht Hamburg Urt. v. 22.06.2010 (Az.: 4 Bf 276/07) gar nicht statisch überwacht werden.

In der Urteilsbegründung wurde unter anderem auf § 8 Abs. 3 Satz 1, 1 Satz 3 HmbPolDVG verwiesen. Dieser erlaubt an Brennpunkten der Straßenkriminalität die ständige Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Straßen, Wege und Plätze. Die Regelung ermächtigt nicht zur Videoüberwachung von Gebäuden, Gebäudeteilen und Flächen, die zwar öffentlich zugänglich sind, aber nicht zu den öffentlich zugänglichen Straßen, Wege und Plätzen gehören.

In dem darauf folgenden Revisionsverfahren (Urteil vom 25. Januar 2012 - BVerwG 6 C 9.11) befand das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dass die offene Videoüberwachung der Reeperbahn in Hamburg auf der Grundlage des Hamburgischen Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei zulässig ist. Im Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ging es aber nur noch um die Videoüberwachung des öffentlichen Straßenraums durch die gegenüber dem Wohnhaus der Klägerin installierte Kamera.

"Die Überwachung durch Video taugt nichts", gab 2010 auch Innensenator Heino Vahldieck nach einer Wirksamkeitsanalyse über die Situation auf der Reeperbahn zu. Die Kriminalitätsrate auf der Reeperbahn war zu keinem Zeitpunkt gesunken.
Auch heute stellen sich viele Anwohner die Frage nach der Verhältnismäßigkeit einer solchen permanenten Überwachung. Das Geld, das die erneute Überwachung kosten würde, könnte man gewiss sinnvoller einsetzen, um die Kriminalität rund um den Hansaplatz zu bekämpfen.
Dieser Meinung ist auch der Runde BürgerInnen-Tisch Hansaplatz. In einem offenen Brief äußern dieser sich sich zum Overkill von repressiven Maßnahmen.

Hier der Offene Brief vom 19.01.2019 im Wortlaut :

St. Georg, 19.1.2019

Offener Brief des Runden BürgerInnen-Tisches
Hansaplatz


Gegen den Overkill von repressiven Maßnahmen


Der Hansaplatz in St. Georg wieder im Fokus des öffentlichen Interesses! Der aktuelle Brennpunkt in Hamburg! Die Wellen schlagen hoch. Die lokalen Medien mischen ordentlich mit. Aufgebrachte AnwohnerInnen melden sich mit einem Offenen Brief zu Wort. – DOCH DAS WAR 2014; ALSO VOR 4 JAHREN!


Besonnene Bürgerinnen und Bürger, soziale Einrichtungen/Vereine, die evangelische Kirchengemeinde und das Polizeikommissariat in St. Georg haben daraufhin den Runden BürgerInnen-Tisch Hansaplatz gegründet. In Zusammenarbeit mit der Bezirksverwaltung und der Bezirkspolitik wurden beruhigende Maßnahmen diskutiert, einige davon beschlossen und nach jahrelangem und zähem Ringen umgesetzt. Die Kriminalitätsrate sank, auch im Jahr 2017 noch.

HEUTE schlagen die Wellen wieder hoch. Es gibt eine dramatisierende, einseitige Berichterstattung über die Situation am Hansaplatz und aufheizende Interviews. In all diesen Verlautbarungen wird der Hansaplatz kriminalisiert. Das kulminiert in einer Online-Petition an Hamburger Senat, Hamburger Bürgerschaft und Bezirksversammlung Hamburg Mitte von aufgebrachten und verunsicherten AnwohnerInnen, darunter auch ein Bürgerschaftsabgeordneter. Darin heißt es, dass man sich nicht frei bewegen könne, ohne bedroht oder sexuell belästigt zu werden – man wate durch Kot, Urin, Glasscherben und anderen Müll. Täglich komme es zu Schlägereien, bei denen Glasflaschen als Waffe eingesetzt würden. Deshalb müssten ein Glasflaschenverbot, ein Trinkraum, eine mobile Polizeiwache auf dem Platz sowie Videoüberwachung kommen.


Der Runde BürgerInnen-Tisch weist diese skandalisierende Zustandsbeschreibung entschieden zurück. Er vertritt seit seinem Bestehen eine andere Position. Ausdrücklich und insbesondere wendet er sich gegen noch mehr Kontrollen (z. B. durch eine mobile Polizeiwache) und ganz eindeutig gegen die Videoüberwachung! Dagegen spricht nicht nur unsere unsägliche deutsche Vergangenheit, sondern auch die Nutzlosigkeit bei der Verbrechensbekämpfung. London ist dafür ein prominentes Beispiel.


Alle Teilnehmenden des Runden BürgerInnen-Tisches, die entweder direkt am oder in der Nähe des Hansaplatzes teilweise schon seit Jahrzehnten wohnen und/oder arbeiten und ihn täglich überqueren bzw. nutzen, haben nämlich eine andere Erfahrung mit den Menschen dort. Sie fühlen sich nicht permanent bedroht und entwickeln kein Angstgefühl, teils weil sie die „Szene“ kennen und beurteilen können, teils weil sie sich deshalb gut vorstellen können, dass die meisten Menschen vor Ort lieber in (warmen) Wohnungen sein möchten, als sich auf der Straße aufzuhalten. Auch wissen sie, dass nicht sie im Fokus stehen, sondern dass sich die zwischenmenschlichen Konflikte und bisweilen kriminellen Handlungen fast ausnahmslos im jeweiligen Milieu abspielen.

Wir vom Runden BürgerInnen-Tisch wollen deutlich machen, dass es unterschiedliche Sichtweisen auf den Hansaplatz und dessen NutzerInnen gibt. Wir respektieren – bei mancher Kritik – alle Wahrnehmungen zur Situation am Hansaplatz und plädieren deshalb dafür, alle Betroffenen rund um den Hansaplatz in einen Dialog zu bringen. Wir glauben nicht, dass die geforderten repressiven Maßnahmen dazu führen, dass Ängste abgebaut werden. Wir trauen den AnwohnerInnen und NutzerInnen des Platzes, den sozialen Einrichtungen, den Behörden im Stadtteil zu, für die Situation am Hansaplatz Lösungen zu finden, die keinen repressiven Charakter haben, sondern Kontakt und gemeinsame Verantwortung für den Platz befördern.

Ein Beispiel dafür ist diese Bürger-Initiative:
Seit zwei Jahren gibt es im Sommer einmal wöchentlich ab 19 Uhr die Brunnen-Putzgruppe, initiiert und organisiert von zwei engagierten St. Georgerinnen und unterstützt von jeweils bis zu 15 Personen: „Leute, die gerade am Brunnen sitzen, Anwohnende, Kinder mit ihren Eltern. Manche sind einmalig dabei, andere regelmäßig. Man spricht Deutsch, Polnisch, Arabisch, Englisch, Hände und Füße. Diese zufällige Gemeinschaft packt an und erfährt viel Zuspruch und Unterstützung.“ ... „Gewalt haben wir an den bis jetzt 40 Abenden kein Mal erlebt.“ (Zitate aus dem Gemeindebrief der evangelischen Kirchengemeinde St. Georg-Borgfelde, Sept.-Nov. 2018)


Auftakt für einen Dialog aller Betroffenen (AnwohnerInnen und NutzerInnen) soll nach unserer Meinung sein:

>> ein Forum in Form eines moderierten Workshops
  • mit Unterstützung ausgewiesener FachreferentInnen
  • sozialen Einrichtungen (auch Kirchen- und Moschee-Gemeinden)
  • aus Wissenschaft
  • Politik und
  • Verwaltung


In Vertretung des Runden Bürgerinnen-Tisches Hansaplatz, der diesen Offenen Brief mehrheitlich beschlossen hat:
Andreas Ernsting (runder.buergerinnen.tisch@gmail.com)


 

Man sollte sich vielleicht vor Augen halten : "Wenn man immer wieder Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird man am Ende beides verlieren.